Ist die Musik noch zu retten?

Gestern Abend war es wieder soweit. Mein lieber Freund, „da Kaisa“, hat mit hüpfendem Überschwang in der Stimme angerufen und mir mitgeteilt, dass er mir wieder „was geschickt“ hat. Wenn der Kaisa „was schickt“, dann handelt es sich immer um Musik, die er gerade komponiert hat. Und wenn in seiner Stimme Überschwang hüpft, macht mich das immer irgendwie glücklich. Das kann nämlich auch ganz anders sein. Überhaupt kenne ich, glaube ich, niemanden, der in so vielen unterschiedlichen Nuancen kommuniziert – wovon er selbst freilich gar nichts mitbekommt.

Ich habe ihn schon in bleierner Dumpfheit, schäumender Tollwut, resignierter Frustration, frostiger Distanziertheit, genervter Ungeduld, verzweifeltem Weltschmerz und lauernder Abgehobenheit sprechen hören, aber zum Glück auch in infantiler Verspieltheit, durchgeknallter Komik, kreischender Exaltiertheit, liebevoller Zartheit, beschützender Souveränität und eben mit diesem hüpfenden Überschwang, der ihn in letzter Zeit endlich wieder öfter umspielt. (Bisschen lang der Satz, ich weiß. Ein Glück, dass ich gestern nicht Doderer gelesen habe, sonst wäre er noch viel länger. Ihr wisst ja, Marketing braucht kurze Sätze, weil den Menschen – oftmals wohl zurecht– mangelnde kognitive Kompetenz und fortschreitende Leseschwäche unterstellt wird. Deshalb freu´ ich mich so, wenn ich mich endlich mal austoben darf ;)

Zurück zum Kaisa. Den habe ich damals, wie so viele wunderbare Menschen, bei mir zuhause kennengelernt. Es war schon ganz praktisch, in einer Tanzschule zu wohnen, die lieber Konzert-Location sein wollte. Da Kaisa war von einem anderen Großartigen empfohlen worden und performte ein grenzgeniales Konzert bei uns im Wald. Wundersamer Weise hab´ ich auf Youtube sogar noch einen kleinen Mitschnitt entdeckt, seht mal: Er ist der ganz links, an den Keys und Percussions, der so voll abgeht, dass es eh für den Rest der Band reicht. (Denen möchte man ein Gänseblümchen schenken, oder wie geht´ s euch damit?)

Kaisa Josel und die Monarchen beim Festival teichen 008 am Grazer Hilmteich.

Dann hab´ ich ihn aus den Augen und Ohren verloren und erst die erstaunlichen Verwirrungen der ganz frühen Pandemiejahre haben uns auf Facebook wieder zusammengeführt. Was für eine Bereicherung! Man kann sich ja gar nicht oft genug bedanken bei der Zensur.

Seither sind wir einander Telefonjoker, Seelsorger und Lachnummer. Denn die schicksalhaften Parallelen, die uns Lord Zufall ins Leben spülte, waren ziemlich markant und in ihren Umfänglichkeiten mindestens einen Krimi wert. Aber das würde hier zu weit führen, womit ich hoffentlich endlich zum Punkt komme.

Wieder und wieder fragen wir uns, was mit der Musik passiert ist. Und weil der Herr Magister das Fach ja sehr ausgiebig studiert hat und auch auf den großen Bühnen dieser Welt Wingman vieler Berühmtheiten war, gibt´ s für mich in diesen Gesprächen immer viel zu lernen. Zum Beispiel, dass es einst die Kirche war, die „teuflische“ Rhythmen verbot. Das mit dem Teufelsintervall kannte ich ja schon, aber dass unsere Taktarmut auch auf Kirchenvater Augustinus & Co zurückzuführen ist, war mir neu. Später sollen angeblich die Nazis den Kammerton A auf gefühlskalte 440 Hertz angehoben haben. Marschiert sich gut und quält andere besser, als es etwa die wonnig weichen 432 Hz tun. Man hätte das ja nach 1945 wieder rückgängig machen können, aber andererseits…

Und dann, da waren wir sogar schon live dabei, war es die Musikindustrie, die Kreativität und Verspieltheit aufs Ärgste beschnitt. Denn um Airplay zu erhalten, hatten Songs in Konzepte zu passen, die ich mit „kurz, akkordarm und mitgrölfreundlich“ umschreiben würde. Deshalb ist unser Musikverständnis auch so erschütternd begrenzt, jedenfalls, was den Mainstream betrifft.

Sobald sich etwas aus den Schubladen von Zwei-, Drei- und Viervierteltakt hinaus wagt, wird es zu „intellektuell“. Damit kann das Programmradio-geschädigte Publikum nichts anfangen. Wenn man bedenkt, dass „Life is live“ ja von Opus selbst als Nummer gar nicht ernst gemeint war und zunächst nur als überschüssiger Bonustrack aufgenommen worden war, erkennt man die unüberwindbare Kluft zwischen Wirtschaft und Kunst. Na na na na na (Dickes Bussi an dieser Stelle an die zauberhafte Inez, von der ich die Story mit der „Plattenvertrags-Couch“ beim A&R Talentescout erzählt bekam. Sie hat übrigens keinen Plattenvertrag dort bekommen. Den A&R hab´ ich kurz darauf kennengelernt und ihm liebe Grüße von ihr ausgerichtet. Ui, dem ist das Gesicht in aller Fahlheit eingeschlafen. Ich fand das ziemlich lustig.)

Allerdings muss ich gestehen, dass meine Ö3-Hörkarriere bereits mit Udo Huber aufgehört hat. Erinnert sich hier noch wer an „die Großen 10“, wo man unter „676731“ abstimmen durfte, welches Lied die Hitparaden stürmte? Ich hätte es auch längst vergessen, hätte nicht Mastermind Flow Bradley mit seiner genialen B-Funk-Family diese Telefonnummer für immer in meiner Ohrwurmzentrale verankert. Flows Story als Hitparadenheld wäre übrigens auch so ein abendfüllender Thriller.

Mit der Hörermeinung war dann Schluss, als Major Labels begannen, Radiozeiten zu kaufen. Österreichs erste Privatradiostationen der frühen 1990er wurden von niederländischen Programmradiomachern getaktet, der Staatsfunk wurde nervös und begann ebenfalls, heimlich Programm zuzukaufen. Durfte er ja eigentlich nicht, denn als öffentlich rechtlicher Rundfunk hätte er ja laut § 4 des ORF-Gesetzes heimische Musiker zu unterstützen.

Aber wer wird das denn so genau nehmen? Oder das mit der AKM und ihrer mechanischen Musikpauschale? „Wieviel möchte Sie denn zahlen?“ hat mich damals der nette, schnauzbärtige Herr der Austromechana gefragt, als ich die Geschäfte meiner Mutter übernommen hatte. Da war ich dann schon perplex. Ich weiß nicht, ob er auch an Monty Pythons denken musste, als ich erwiderte: „Sie meinen, um Tantiemen soll man feilschen?“

Ich glaube ja nicht, dass es heute besser geworden ist. Damals jedenfalls hat keinen interessiert, was Tanzschulen, Gaststätten oder Friseure in ihrem täglichen Business so auflegen. Es reichte doch, wenn das Gallup-Institut zweimal im Jahr die Playlists einer Großraumdisco erhob, welche die AKM dann als Maßstab hernahm und ins Ausland überwies. Madonna hat wohl ziemlich gut daran verdient, dass ich nur Österreicher spielte.

Woher ich das weiß? Weil ich nachgefragt hab´ und damals, als Gemeinderätin der Stadt Graz, sogar Antwort bekam. Die Petition ans Parlament, die ich 2007 unter dem Titel “Mehr Radiozeit für Österreichs neue Musik” bezüglich des oben genannten ORF-Paragraphen einbrachte, hat dann schon ein paar Wellen geschlagen, aber Tidenhub war es keiner. Gebracht hat es letztlich eher wenig. Außer mir persönlich, denn ich hatte bald darauf viele neue Freunde aus der musikalischen „Subkultur“. Den Kaisa zum Beispiel.

Mit dem hab´ ich kürzlich wieder viel über Abrechnungsmodalitäten von Streaming-Plattformen gelacht. Und über die lustigen Urheberrechtsrettungsversuche von Smartphone-Anbietern, die nun jedem Käufer Download-Absichten unterstellen und daher gleich vorab eine Pauschale einheben (verzeiht mir, ich hab´ vergessen, wie sie heißt), die dann an die AKMs und GEMAs dieser Welt gestiftet werden sollen, um die armen Künstler zu retten.*Brüll*.

Die KI klont sowieso alles, was ihr unterkommt. Hab´ kürzlich meinen Schwager mit Ed Sheerans Stimme singen hören. Klang nicht schlecht. Aber man muss eindeutig zugeben, dass die aktuelle Hysterie durchaus berechtigt ist. Doch in Anbetracht der Wertschätzung, die Musikschaffenden in den letzten 30 Jahren in Österreich entgegen gebracht wurde, könnte man auch ganz frech sagen: Des is jetz a scho wuascht.

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P.S. 07.04.´24 : Zu “Ostara”, dem März-Vollmond, hat der Kaisa diese Welt verlassen. Irgendwo, am anderen Ende der Sprachlosigkeit, wird auch das Lachen neu erwachen.


Wenn Ihr dazu eine Meinung habt, dann ab in die Kommentare damit. Hier wird nicht zensuriert :D